luth. Volksschule zu Horsten
Von Theo Hinrichs
Chronik der luth. Volksschule zu Horsten von 1893 wieder entdeckt
In einer vor kurzem wieder entdeckten Chronik der Volksschule Horsten aus der Zeit von 1893 bis ca. 1900 sind einige Besonderheiten des Schullebens aus der Zeit um die Jahrhundertwende bekannt geworden. In der Chronik wir über „Schulprügungen, Wirksamkeit der Schulaufsichtsbeamten, Revisionen berichtet (wahrscheinlich vom damaligen alleinigen Lehrer an der Volksschule in Horsten, Claas Peters, in gestochener deutscher Schrift verfasst, könnte dieser Abschnitt in einigen Facetten fast in unsere Zeit passen, in der es um Schulinspektionen, Leistungsstandards etc. gestritten wird.
„Schulprüfungen, Wirksamkeit der Schulaufsichtsbeamten, Revisionen“
Außer den Schulentlassungsprüfungen – vorgeschrieben lt. Auschreiben des könglichen Consistoriums vom 27. März 1879 – wurde hier als öffentliche Schulprüfung das sog. „Jud(iea)-Examen“ am Sonntage Judica in der Kirche abgehalten. Es nahmen daran sämtliche Kinder der Unter-, der Mittel- und der Oberstufe, sofern nicht einige wegen schlechter Kleidungsstücke veranlasst waren, zu Hause zu bleiben, teil. Der Gang war folgender:
- Katechese über ein selbst gewähltes Thema, als Einleitung und Schluß ein passendes Lied,
- hierauf mussten die Schüler der Mittel- und Oberstufe ein Probe im Lesen ablegen, der Ortschulinspektor legte zu diesem Zwecke einen Zettel auf den Taufstein, worauf das Kapitel der Bibel verzeichnet war, welches die Kinder aus dem Stegreif versweise zu lesen hatten,
- darauf erfolgte die Katechese, das Thema zur selbigen wurde eine Woche vorher dem Lehrer von dem Lokalschulinspektor vorgeschrieben; gewöhnlich wechselten Bibel- und Katechismusabschnitte. Eingeleitet, durchwoben und geschlossen wurden die Lektionen durch passende geistliche Lieder.
Die Beteiligung vonseiten der Gemeinde war eine höchst erfreuliche, die Kirche war bis auf den letzten Platz gefüllt. Aber solche öffentlichen Schulprüfungen sind weder nötig, noch wünschenswert. Denselben Standpunkt vertrat auch die königliche Regierung lt. Verfügung von 1894. Doch hielt man hier daran mit großer Zähigkeit fest und suchte sie mit aller Energie zu verteidigen, denn so meinte man, die öffentliche Schulprüfung gebe den Eltern der Schulkinder Gelegenheit, sich wenigstens einmal im Jahre von dem Leben und der Arbeit in der Schule Kenntnis zu verschaffen. Aber sind die Eltern imstande, sich aus einer solch einseitigen Schülerprüfung, die die Schulen bloß in ihrem Sonntagskleide zeigt, auch nur ein annähernd richtiges Bild über den Zustand der Schule zu gewinnen? Wollen die Eltern wirklich einen Blick in das vielseitige Getriebe der Schularbeit thun, so stehen ihnen viel sichere Mittel zu Gebote, die schriftlichen Arbeiten, die häuslichen Aufgaben und die Censuren bieten ihnen eine viel bessere Handhabe. Und sollte das einem Vater noch nicht genügen, so würde er doch immer dem Lehrer sein Herz ausschütten können. Schulprüfungen werden der Schule auch manchmal schädlich, sie begünstigen oft die Oberflächlichkeit des Unterrichts, denn manchen Lehrern wird oft in solchen Tagen die Einprägung des Stoffes die Hauptaufgabe, die geistige Entwicklung der Kinder zur Nebensache; auch führen sie den Lehrer leicht in Versuchung, denn nicht wenige bemühen sich, die Schwächen ihrer Kinder zu verdecken, den Leuten Sand in die Augen zu streuen, und wer das am besten kann, ist der Held des Tages, der hatte einen Stein im Brette, und so werden oft Lehrer und Schule falsch beurteilt. Und da der durchzunehmende Stoff auch nicht immer im Lehrplan zu finden war, so hatte die Schule auch Nachteile dabei, besonders gingen bei der Einübung der mehrstimmigen Lieder manche Viertelstunde verloren und das alles durch Lieder, die bald der Vergessenheit wieder anheimfielen. Sehr schmerzlich mußte es auch den Lehrer berühren, wenn einige Kinder wegen Mangels an Kleidungsstücken der Prüfung fernbleiben mussten. Die Erschienen überboten sich oft gegenseitig durch Pracht und Aufwand, wodurch manche Familien sich noch unnötigerweise mit Sorgen zu plagen hatten. Zunächst verzichtete man hier auf das Lesen, erst Ostern 1898 ließ man das Judiea-Examen ganz fallen; an Stelle des letzteren führen wir eine kirchliche Weihnachtsfeier ein, die unseres Erachten entschieden der öffentlichen Schulprüfung vorzuziehen ist.
Die hiesige einklassige Volksschule wurde am 15. Juni 1894 von dem Herrn Regierungs- und Schulrat Pfähler, Aurich, revidiert, derselbe berichtete über den Befund der Schule folgendes: „Die einklassige lutherische Volksschule zu Horsten wird von 87 Kindern besucht. Der Schulbesuch ist regelmäßig. Der Lehrer Peters ist ein fleißiger und gewissenhafter Mann, der mit aller Treue seines Amtes waltet. Infolgedessen kann der Zustand der Schule auch als befriedigend, in mancher Hinsicht sogar als gut bezeichnet werden. Ich wohnte dem Unterricht in der Religion, im Deutschen, in der Geschichte und im Gesange bei und konnte mich überzeugen, daß das Verfahren des Lehrers zweckmäßig und das Interesse weckend, sowie daß die Leistungen der Kinder fast durchweg befriedigend waren. Die Disziplin und die Akkuratesse beim Turnen waren gleichfalls befriedigend.“
„Wie Kaiser Wilhelm die Kornblumen lieb gewonnen hat“
Der Bericht von Regierungs- und Schulrat Bünger vom 2. Juli 1900 hatte folgenden Wortlauf:
„Der Lehrer Peters, 29 Jahre alt, 9 Jahre im Dienste, unterrichtet und führt seine Klasse mit Eifer und Geschick. Das Lesen im ersten Schuljahr ist gleichmäßig erfolgreich fast bei allen Kindern gewesen, die Schrift aller Abteilungen ist mit einigen Ausnahmen sehr sorgfältig, manche Kinder haben die Richtungslinie nicht immer gehalten. Die schriftlichen Hefte sind sehr sauber und fleißig korrigiert. Was die Kinder frei auf die Tafel schreiben, z. b. „Wie Kaiser Wilhelm die Kornblumen lieb gewonnen hat“ war in schöner Schrift und orthographisch ziemlich fehlerlos dargestellt. In dem deutschen Sprachunterricht genügte nur nicht der Vortrag, der zu eintönig und schnatternd war, und bei dem die fehlerhafte Lautbildung, die schon beim Lautieren im ersten Leseunterricht hätte beseitigt werden müssen, sehr deutlich zu Tage trat (zeitiger Stelleninhaber war noch nicht da -). In der Religion besprach der Lehrer die Geschichte vom Paradiese mit der Unterstufe, nachdem er dieselbe erzählt hatte. Die Kinder waren sehr aufmerksam und eifrig im Antworten. Eine Prüfung in der Religion ergab ein befriedigendes Resultat, wenn auch die Auffassung der Kinder sich als schwerfällig erwies. Im Rechnen stand das 2. Schuljahr zurück, denn es stand noch im Zahlenraum bis 10 und vermochte doch schon, wie sich ergab, bis 20 zu rechnen. Das Kopfrechnen der oberen Stufen war – wahrscheinlich infolge der starken Beeinflussung durch das Rechenheft – nicht sicher und schnell genug. Der Gesang „Kennt ihr das Land ….“ war wohlklingend und gut geübt.
Dem Lehrer wurde das Ergebnis der Revision mitgeteilt und ihm eine Anerkennung für seinen Fleiß und seine Liebe zur Schule ausgesprochen.
Die Externa sind in Ordnung. Bei den Lehrmitteln fehlt eine Sammlung naturgeschichtlicher Anschauungsbilder – etwa der Leutemannschen – deren Anschaffung für die Schule von Wichtigkeit ist.“
Theo Hinrichs