Das Horster Grashaus
Die bewegte Geschichte eines großen Kleihofes in Horsten
Von Theo Hinrichs
Durch verheerende Sturmfluten in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends wurde die Landschaft vor allen Dingen im Westen des heutigen Jadebusens verändert. Von der Julianenflut im Jahr 1164 wurden bereits tiefer liegende Niederungsmoorflächen mitgerissen. Bei weitere Sturmfluten wurden immer größere Gebiete Opfer der Wassermassen. Es entstand das Schwarze Brack. Die größte Ausweitung des Schwarzen Bracks wurde durch die Marcellusflut 1362 verursacht. Es gab große Verwüstungen, unzählige Menschen und Tiere verloren ihr Leben. Das Wasser reichte nun bis an den von Zetel über Horsten bis Hohemey reichenden Geestrücken. Diese Dörfer auf der Geest blieben verschont und wurden nicht überflutet.
Horsten wurde erstmals 1134 urkundlich erwähnt, als der Erzbischof Adelbert dem Probst des Klosters Reepsholt die Capellen zu Etzel, Marks, Horsten und Dykhausen unterwarf (Suur). Wahrscheinlich ist die Ansiedlung Horsten aber wesentlich älter, denn der 1965 wieder entdeckte Sonnenstein ist wahrscheinlich über 3000 Jahre alt und deutet darauf hin, dass bereits damals dieses Land schon damals besiedelt war.
Noch heute beeindruckt das auf dem Geestrücken von Horsten nach Hohemey liegende Horster Grashaus. Es wird vermutet, dass es mit dem Etzeler Grashaus der Versorgung des Klosters Hopels diente. Da über das Kloster Hopels, das vermutlich zwischen 1235 und 1287 von Dokkumer Prämonstratensern gegründet wurde, wenig überliefert ist, ist auch über die Errichtung des Grashauses Horsten nichts bekannt. Es soll mit 579 ½ Grasen Kleiland einer der größten Marschplätze Ostfrieslands gewesen sein. Verschiedene Chronisten berichten, dass an der rechten Seite der Straße nach Neustadtgödens das „neue Land“ liegt, das der Anlegung des Hohemeyer Siels durch die Gräfin Anna 1544 entstanden ist (hierzu gibt es unterschiedliche Aussagen von Chronisten), und dass die auf der linken Seite der Straße liegenden Ländereien als das „Oll Land“ bezeichnet wurden.
Nach der Reformation wurde das Kloster Hopels 1528 durch Graf Enno II. aufgehoben. Der Klosterbesitz und damit das Horster Grashaus gingen in den Besitz des ostfriesischen Fürstenhauses über. Der Nachweis hierfür ist ein Heuerbrief des Grafen Enno II. für Hinrich Eilardts vom 2. Dezember 1617, der im Staatsarchiv in Aurich aufzufinden ist.
Ein heftiger Streit zwischen dem Erbgroßherzogtum Oldenburg und dem ostfriesischen Fürstenhaus brach 1615 aus, als Grafen Anton Günther von Oldenburg mit der Fertigstellung des Ellenserdammes Hohemey zu einem Binnensiel machte und auf alles neu eingedeichte Land Besitzanspruch erhob. Diese Auseinandersetzung musste vom Reichskammergericht entschieden werden (Eine Karte über die damals strittigen Flächen befindet sich im Niedersächsischen Staatsarchiv in Aurich). Die Ostfriesen gingen als Gewinner aus diesem Streit hervor. Der Besitz des Grashauses wurde durch wertvolle Ländereien östlich des Hofgebäudes ausgeweitet.
1671 wurde das Gut durch den Ingenieur v. Honard vermessen und die Größe mit 492 Grasen 127 Ruthen kleiner als vorher genannt festgestellt. Im Jahre 1748 fand eine neue Vermessung durch einen Ingenieur Fuchs statt (die Ergebnisse sind in einer Karte festgehalten, die sich im Archiv in Aurich befindet). Nach der Abrennung des Platzes Hohemey mit den dazugehörenden Ländereien war das Gut noch 442 Grasen und 255 Ruthen groß. Davon wurden 30 Gras u. 1 Ruthe 2 Fuß der Marxter Schäferei zugeschlagen, so dass der Restplatz mit rund 412 Grasen durch den Amtmann von Friedeburg verpachtet werden konnte.
Wie aus der Abrechnung über die Orgel der Horster Kirche hervorgeht, war 1734 ein H. Harmens Pächter. Nachfolger wurde Johann Hinrich Bley. Ihm folgte 1765 sein Sohn Otto Bley. Als dieser 1813 starb, übernahm seine Witwe Elisabeth Geb. Bley den Betrieb.
1807 übernahm Holland, das von Frankreich annektiert war, die Herrschaft in Ostfriesland. Der König von Holland - der Bruder Napoleons - veräußerte viele der fürstlichen Güter, die er durch die Eroberung an sich gebracht hatte; unter anderem neben dem Etzeler Grashaus und der Schäferei Marx auch die Domäne Horsten. Über den Verkauf blieben die damals üblichen gedruckten Kaufverträge mit genauen Angaben erhalten. Demnach wurde das Horster Grashaus mit dem Platz Hohemey, das Etzeler Grashaus und die Schäferei Marx an den Kaufmann Albert Eden Alberts aus Norden verkauft. Dieser veräußerte dann am 21. November 1820 den Platz Hohemey an den Kaufmann Heyke Janssen aus Drenshausen bei Neuharlingersiel und das Grashaus, den Kirchenstuhl und die Gräber sowie 383 ½ Grasen Land an Johann Friedrich Meenen. Andere Landwirte aus Horsten erwarben einzelne Flächen.
Später erwarb der Konsul Wilhelm Fehrmann aus Bremen den Besitz und ließ 1880/81 ein neues Wohnhaus errichten. Das von ihm gestiftete Tor am Friedensgarten ist noch heute erhalten. Wilhelm Fehrmann verpachtete das Gut an Eduard Daun, der mit der Pferdezucht und mit der Lieferung von Pferden an die Wehrmacht im 1. Weltkrieg über die Grenzen der Region hinaus bekannt wurde.
Der in der französischen Besatzungszeit abgetrennte Platz Hohemey hat verschiedentlich seine
Besitzer gewechselt. Pächter waren unter anderen die Familien Braams und Arians. Im ersten
Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts kaufte ihn der Bauer Renke Renken aus Horsten. Aber sein Sohn, der ihn bewirtschaften sollte, wurde nach seiner Militärzeit vollkommen arbeitsunfähig. Der Platz blieb verpachtet. Nach seinem Tode fiel der Platz durch Erbschaft an die Familie der heutigen Besitzer.
1920 wurde das Horster Grashaus wieder verkauft. Erwerber war der Viehkaufmann Samuel de Taube aus Neustadtgödens, der Viehzucht auf dem Hof betrieb. In der Progromnacht am 9. November 1938 wurden die jüdische Familie de Taube und ihre jüdischen Bediensteten vom Grashaus vertrieben. Samuel de Taube wurde am 31. Dezember 1938 vom Oberpräsidenten in Hannover aufgefordert, seinen Besitz innerhalb von vier Wochen zu veräußern und es zu diesem Zweck der Hannoverschen Siedlungsgesellschaft m. b. H. zum Kaufe anzubieten. Am 21. April 1939 wurde der Verkauf beurkundet; der Kaufpreis betrug 300.000 Reichsmark. Über den Verkaufserlös durfte der Verkäufer nur mit Zustimmung staatlicher Stellen verfügen, was konkret bedeutet, dass er von dem Geld nichts erhalten hat. Samuel de Taube und seine Ehefrau konnten ausreisen und fanden Asyl in England. Zwei der Söhne konnten sich der Gestapo entziehen, einer blieb verschollen.
Die Hannoversche Siedlungsgesellschaft verkaufte von dem Besitz knapp 153 ha großen Besitz 82 ha auf Betreiben der NSDAP an über zwanzig Bauern, die bis dahin kein Kleiland besaßen, und den verbliebenen Rest mit den Gebäuden an den Kreisbauernführer, der den Hof dann von 1939 bis 1946 bewirtschaftet hat. Nach Rückkehr der Familie de Taube nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft konnte Robert de Taube, der sich in Berlin vor den Nationalsozialisten hatte verbergen können, als von der Militärregierung bestellter als Treuhänder den Hof wieder bewirtschaften. Eigentümerin im Grundbuch war noch immer die Hannoversche Siedlungsgesellschaft m. b. H. Nach jahrelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen wurde im Januar 1953 von der Wiedergutmachungskammer I bei dem Landgericht Osnabrück die Rückerstattung des Horster HorGrashauses an Robert de Taube und die Miterben angeordnet, denn Samuel de Taube war 1949 gestorben und erlebte die Wiedergutmachung nicht mehr. Der Bruder Robert de Taubes, der Teile des „Oll Land“ geerbt hatte, verkaufte diese Ländereien stückweise.
Robert de Taube lebte nach dem Verkauf des Grashauses mit den verbliebenen rund 75 ha Ländereien an die Familie Korte weiterhin in Horsten. Er starb am 26. August 1982 und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Neustadtgödens beigesetzt.
Theo Hinrichs